Luppenau

Zweite Luppeexpedition oder die die unbequemste Art nach Wallendorf zu reisen
SAALE-ELSTER-AUEN-KURIER - Februar 2011
Autor: Ilja Bakkal

Sonnabend der 22. Januar 2011. Paul steht an der Lössener Brücke und betrachtet den neu angebrachten Pegel. Der Wassersstand ist so hoch, dass die im letzen Frühjahr nicht passierbaren Flussabschnitte befahrbar seien sollten. Wollen wir es versuchen? - Ja! - Und kein vernünftiger Mensch, der uns davon abhalten möchte, bei der Kälte! In meiner Kanuliteratur steht, dass es zu jeder Jahreszeit ein Vergnügen ist.
Am späten Vormittag lassen wir den Kanadier ins Wasser, fahren für ein Foto 50 Meter stromabwärts, wenden, nehmen die Kamera an Bord und beginnen die Reise. Von den Steinen der kleinen Staustufe ist nichts zu sehen.
Sicherheitshalber haben wir dichte Packsäcke mit Wechselkleidung dabei. Ich trage Wathosen. 

Ja, wäre da nicht eine Episode am Rande, die den Blick wieder heraus lenkt, aus diesem Geiseltal, in die weite Welt und zurückkehrt nach Luppenau.
So mancher wird sich an den jungen Mann auf der Abbildung erinnern, der aus Honkong stammend, 2005/06 insgesamt ein Jahr in Deutschland und davon 7 Monate in Löpitz bei der Familie Woitke verbracht hat. Hier besuchte er das Herder-Gymnasium und genoss das Leben, den Jugendklub und war schwarz-rot-gelb geschminkt zur Fußball-WM.
Wegen guter  Leistungen hatte er ein Stipendium von einer amerikanischen Jugend-und- Studenten-Austausch-Organisation erhalten. Die schöne Zeit ging vorbei und Kim zurück nach Hause. Aber wir wussten immer, was mit ihm passiert. Und dann gibt es ja dieses Bild, wie er sich in einem christlichen Wunder übend, über das Wasser des Wallendorfer Sees läuft. Als wir (Ich bedanke mich bei der Feuerwehr und dem Förderverein.) anfingen, die Fotos aus unserem Schloss herauszutragen, lief er mir über den Weg – Europabesuch.

Wir verlassen Lössen, schlängeln uns durch mehrere umgestürzte Bäume. Dort, wo der Bach mündet und wir im Frühjahr durch die kräftige Strömung manövrieren mussten,  wird  der Fluss eher breit und träge. Überhaupt ist in diesem Abschnitt die Fließgeschwindigkeit eher gering. Das Luppeufer befindet sich unter Augenhöhe und wir könnten die Landschaft genießen, wäre sie nicht so monoton graubraun. Knorrige  alte Eichen recken ihre kahlen Äste in den blauen Himmel.  Das freut uns, denn es sieht schön aus und vor allem liegen sie (noch) nicht im Wasser. Viele stattliche Bäume sind umgestürzt, anderen steht es bevor. Sie werden die Fahrt zur Herausforderung machen. Einige kennen wir schon. Aber wo man seinerzeit durchschlüpfen konnte, ist das heute nicht möglich. Also raus mit dem Boot, umtragen! Das Ufer ist steil und glitschig. Jetzt bewähren sich die Wathosen. Irgendwie Halt suchen zwischen Ufer und Bordwand, wenn der Erste an Land ist, kommt man zurecht. Das Boot wird die Böschung hinaufgezogen und ein paar Meter weiter wieder heruntergelassen. Manchmal sind die Tragestrecken länger. Einmal stecken wir im Unterholz fest, müssen zurück und einen Umweg versuchen.

Etwa zehn Mal steht uns dieses Manöver bevor. Die meisten Bäume überwinden wir im Wasser, was fahrtechnisch erhebliche Anforderungen stellt. Noch hilft die Gegenströmung. Das wird uns aber erst auf der Rückfahrt bewusst. Kräftiger J-Schlag hinten „vorne links!“ das Boot dreht auf der Stelle und fährt  zwischen morschen Ästen hindurch. Sonst geht es auch mit Ziehen und Drücken. „Vorsicht,  Ast!“, ruft Paul von vorn, schon schnellt der zurück und knallt gegen das schützend vors Gesicht gehaltene Paddel. Ohr noch dran, Mütze in den Zweigen, kein Problem. Wir sollten Helme tragen mit Visier.

Die Löpitzer Brücke und die Waldschmiede werden von der Sonne angestrahlt. Erinnerungsfoto, wir treiben zurück.   Nach einigen Schlägen passieren wir die Häuser, sehen in die Gärten und wissen, dass einige Anwohner unser Abenteuer mit nassen Kellern bezahlen. Wir kommen an der Tragarther Wiese vorbei, können die einzige Umtragestelle des vergangenen Jahres mit Kraft überwinden. Auch dort, wo beim Sandberg die Fahrt zu Ende war, geht es weiter, entlang der Straße, dann biegt der Fluss nach rechts ab. Ein riesiger Keiler flüchtet am Ufer entlang und ahnt nicht, was wir für ein Herzklopfen haben.
Machen Sie, liebe Leser, sich inzwischen Sorgen, dass wir frieren könnten? Das ist nicht nötig, meine Füße ignorieren Sie mal. Ich spüre sie eigentlich kaum noch.
Die Luppe mäandert auf Tragarth zu, wird immer flacher. Gleichzeitig nimmt die Strömung zu. Wir müssen uns erheblich anstrengen. Das macht warm. Die Häuser werden von der Luppe und vom Bach und dem Grundwasser in die Zange genommen. Nasse Keller.
Die umtragepflichtigen Hindernisse zähle ich nicht mehr auf, aber die vor Tragarth war besonders unfreundlich. Der Fluss zeigt erhebliche Verlandungstendenzen und die Zweige fliegen dem Mann im Heck nur so um die Ohren.
 Das Schloss wirkt von  der Wasserseite vorteilhafter als von Land. Wir durchfahren die Brücke und lassen Luppenau hinter uns. Mit Strapazen geht es weiter: Die Eisenbahnbrücke,  bald hören wir die B181, sehen den Kirchturm von Wallendorf. Das Schilf im Wasser deutet auf nicht ganzjährige Befahrbarkeit hin. Nächstes Ziel: Der Mühlgraben. Einige Vögel fliegen auf und eine Nutria schwimmt in unserer Nähe. Wir haben nichts für sie, für uns allerdings auch nicht, nicht einmal Geld, und in den Weinkeller, wo wir zweifellos Kredit hätten, trauen wir uns, ramponiert wie wir inzwischen aussehen, nicht hinein. Im Mühlgraben lässt sich das riesige morsche Mühlrad bestaunen. Das Wasser sprudelt durch die Rinne, und wenn es jemals das Rad bewegt hat, muss wenigstens soviel im Fluss gewesen sein, wie jetzt. Ganzjährig. Nach einigen Fotos bittet uns der Reitverein zu verschwinden, weil die Pferde durch den Anblick unruhig werden. Wir nehmen an, dass eigentlich das Boot gemeint ist.
Zurück, und dem linken Luppearm folgend, weiter flussaufwärts. Wassergrundstücke auf der rechten Seite, einige Leute staunen, haben aber Verständnis für das Unternehmen, wenn wir erklären, dass es im Sommer leider nicht geht. Weitere markante Punkte sind eine Brücke mit blauem Geländer und eine Staustufe. Zurück oder aussteigen? Noch einmal aussteigen, Landtransport, aber zurück müssten wir ja auch, unbedingt  bei Tageslicht. Weiter, noch diese letzte Brücke,  ein mit Natursteinen ummauertes Halbrohr mit Wildwasser drin. „Paul, zeig was Du kannst, volle Kraft voraus!“ Wir schaffen es, mit Mühe, und es lohnt sich: Der Fluss ändert seinen Charakter, hindernisfrei  fließt er, zwischen Wiesen rechts und Wäldchen links,  an dieser Stelle parallel zum Raßnitzer See. Der einzige  umgestürzte Baum ist ordnungsgemäß sauber abgesägt. Paul betrachtet hingebungsvoll die Schnittstellen, Beweisfoto, wir schnellen zurück durchs Rohr, vermeiden aus Sorge um das Boot die Schussfahrt durch die Staustufe und wären eigentlich schnell wieder in Lössen, gäbe es da nicht diese Bäume. Während man noch überlegt, wie sie zu bewältigen sind, kracht das Boot dagegen, stellt sich quer und verursacht noch mehr Anstrengung…
Wieder zu Hause, es ist noch hell.
„Wie weit seid ihr denn gekommen?“ … „Was, weiter nicht?“

I.Bakkal