Luppenau

     Krippenspiel zu Weihnachten 2016 in Lössen

SAALE-ELSTER-AUEN-KURIER - Januar 2017  - Ilja Bakkal -   

Als ich am frühen Nachmittag im Nieselregen zwischen den Grabsteinen auf das Aufschließen der Kirche wartete, las ich die eine oder andere Inschrift und rechnete nach, wie alt der Mensch geworden ist. Was mag er für ein Leben gehabt haben? Manchmal kenne ich den Familiennamen, mehr aber nicht. Das stimmte mich schwermütig. Grabsteine können so eine Wirkung haben. Nieselregen. Aber dann dachte ich an einen Mann, der  mit 24 Jahren aufgehört hatte zu leben. Über ihn haben wir schon einiges erfahren, obwohl niemand ihn kennt. Alles was wir wissen, lässt sich unter einem Begriff zusammenfassen: Hass. Seine Flucht durch mehrere europäische Länder, nachdem er mit einem LKW in einen Berliner Weihnachtsmarkt gerast war, endete in der Vorweihnachtswoche in Italien. Wir wissen heute, dass es die Fahrzeugtechnik war, die die Opferzahl begrenzt hat. Wählte er den Weihnachtsmarkt wegen der Menschenansammlung oder wollte er auch eine Kultur, eine Religion treffen, eben der Menschen die sich an einem solchen Ort versammeln und das Leid damit zielgerichtet potenzieren? Das wissen wir nicht, aber es könnte so sein. Es ist ihm gelungen. Jetzt ist er tot. Das beruhigt mich. Ich hätte zu seiner Zielgruppe gehört, in meiner Heimatstadt.


Die Ausrufer Fabian H. und Fabian  B., dahinter Armin als (Not)Engel
mit der Erzählerin Paula, Isabell und Emily als Maria und Joseph vor
dem „Licht der Welt“, Robert in der Dienstbekleidung des
Weihnachtsmanns, daneben die Wirte Leonie und Lucien

Gemeindepädagogin Cathleen Aulbach hat in ihrer Predigt die dramatischen Ereignisse der letzten Tage nicht thematisiert. Sie nahm damit taktvoll Rücksicht auf das Thema des Krippenspiels. Zu Beginn polterte ein riesiger Weihnachtsmann in schweren Feuerwehrstiefeln „Hohoho“ rufend in die Kirche. Nachdem es den übrigen Darstellern nicht gelungen war ihn zu vertreiben, durfte er bleiben und den Unterschied zwischen weihnachtlichem Kommerz und weihnachtlichem Gottesdienst in einer kleinen Kirche erfahren. Er gewann spürbar an Einsicht und Kompetenz, konnte aber auch leidvolle Erfahrung seiner schweren, oft nicht gewürdigten Arbeit vermitteln. Er bestand schlussendlich einen spontanen Dialog mit der Liturgin – Respekt! Laut und deutlich bis zur überfüllten Empore. Die Ausrufer Fabian B. und Fabian H. trieben die Menschen des Römischen Reiches zur Volkszählung, was den Wirten Lucien und Leonie eine außergewöhnliche Auslastung  ihrer Herbergen bescherte. Isabell und Emily als Maria und Joseph blieb die öffentliche Präsentation des Neugeborenen in der kalten Kirche erspart. Sie entzündeten „das Licht der Welt“ , was auch einige Mühe bereitete.
Paula Kinne führte durch die Geschichte, für den kranken Engel Hanna sprang Armin ein. Dieser Gottesdienst unterschied sich von Althergebrachtem. Die Darsteller lasen vom Blatt eine gereimte Sprache, die sich stellenweise am  Umgangston der Altersgruppe orientierte. Die gewohnte und geschätzte musikalische Begleitung saß in den Bänken, dafür erfreuten uns Sabine Liebert aus Halle (Gitarre) und Diana Dressler aus Wien mit weihnachtlichen Liedern -  eine Überraschung der Extraklasse! Die Predigt war in Teilen improvisiert, und sprach die Menschen direkt an. Die Interpretation des Weihnachtschristen, die sich m.E. wohltuend von der üblichen Schelte für einmaligen Kirchgang am Heiligen Abend unterschied und andere Weltanschauungen und Religionen mit einbezog, wurde kontrovers diskutiert.  Achtung verdient das Bemühen der Gemeindepädagogin, die auf den Sitzen Angefrorenen schonend wieder in Bewegung zu versetzen – unkonventionell für Lössen. Nach der Fürbitte, die die Opfer des Berliner Weihnachtsmarktes mit einbezog, und dem Segen traten die Luppenauer und ihre Gäste den Heimweg an. Sie ähnelten den Besuchern  einer Oper, die unerwartet modern aufgeführt wurde und der es an ausgewogener Vorbereitung gefehlt hatte, aber gerade deshalb auch außerordentlich erfrischend herüberkam und gefiel.
Nach jahrelanger Kontinuität, getragen durch Herrn Pfarrer Richter, wird die Lössener Kirche offensichtlich nach Dienstplan, wenn nicht gar Notdienstplan betrieben. Das tut ihr nicht gut. In Teilen haben die Luppenauer Verantwortung übernommen. Das betrifft die Dramaturgie, das Reinigen und Schmücken und nicht zuletzt das Musizieren und Spielen.
Den Dank dafür verbinde ich mit den besten Wünschen für 2017. In Anlehnung an das durch ein Versehen Cornelia Vogel zugesprochene Gedicht eines unbekannten Künstlers in der Dezemberausgabe, würde ich in die Welt rufen wollen:

Frieden, Gesundheit, Liebe, Wohlstand für alle Menschen – sofort!

Ilja Bakkal